Die Allgemeine Umfeldtheorie
Eine der meistdiskutierten Disziplinen war die Anthropometrie, die vom Wesen des Menschen handelte. Heukrieg gelang es, das Essentielle dieser Disziplin zusammenzutragen, zu ordnen und aus folgenden Postulaten abzuleiten, die somit das Wesen des Menschen begründeten:
1. Menschen sind zweibeinig
2. Menschen sind ungefiedert
3. Menschen sind vernünftig
Nur die ersten zwei Postulate hielt der Verfasser dieser 'Grundlagen' für unanfechtbar. Von Anfang an haftete somit dem dritten Postulat der Makel des Vorläufigen an, und unzählige Gelehrte bemühten sich, es aus den zwei gesicherten abzuleiten. Immer wieder glaubte jemand, einen Beweis gefunden zu haben, doch jedesmal hatten sich Teile des Weltbilds des Beweisführers eingeschlichen, und die menschliche Vernunft war nicht ausschliesslich aus Zweibeinigkeit und Ungefiedertheit abgeleitet worden.
Nachdem das dritte Postulat sich 2000 Jahre allen Versuchen widersetzt hatte, aus den ersten zwei abgeleitet zu werden, entstand an mehreren Orten die Vermutung, es sei für das Wesen des Menschen gar nicht Voraussetzung, könne somit weggelassen, verneint oder durch ein anderes ersetzt werden. Unter Beibehaltung der Methode Heukriegs entstanden so verschiedene 'nicht-heukriegsche' Anthropometrien. Erste Versuche waren noch mit dem Ziel angestellt worden, einen Widerspruch zu finden, um so die Notwendigkeit der menschlichen Vernunft zu beweisen. Jedoch immer, wenn jemand geglaubt hatte, einen Widerspruch gefunden zu haben, hatten andere gezeigt, dass es sich nur dann um einen solchen handelt, wenn man schon eine vorgefasste Meinung über das Wesen des Menschen hat.
Eintopf beschäftigte sich mit grundlegenden Fragen des menschlichen Verhaltens. Er hatte schon Aufsehen erregt mit der Erweiterung des allgemein anerkannten Umfeldprinzips (das Verhalten hängt vom Umfeld ab) zur Speziellen Umfeldtheorie. Das Verhalten liess sich in dieser Theorie einheitlich darstellen, unabhängig vom effektiven Umfeld. Da die Theorie umfeldunabhängige Beschreibungsweisen aber nicht in allen Fällen zuliess, bemühte sich Eintopf mit Unterstützung von Anthropometrie-Experten um eine Theorie, die solche Beschreibungsweisen für jedes menschliche Verhalten zuliess. Mit einiger Mühe entstand die Allgemeine Umfeldtheorie, die erste Theorie, die auf einer nichtheukriegschen Anthropometrie basierte.
Die Theorie schien das menschliche Verhalten korrekt zu beschreiben und erklärte ungelöste Probleme. Zur Hauptfrage aber wurde: Wird das Wesen des Menschen wirklich durch eine nichtheukriegsche Anthropometrie begründet? Es kam zur Sensation: Bei Ausgrabungen entdeckte man Spuren eines aufrecht gehenden Tyrannosaurus mit daumengrossem Hirn und verkümmerten Händen. Es handelte sich unzweifelhaft um einen ungefiederten Zweibeiner, also um einen Menschen im Sinne der ersten zwei Postulate Heukriegs. Da man ihm Vernunft absprechen musste, war der Beweis erbracht, dass man sich 2000 Jahre über das Wesen des Menschen getäuscht hatte.
Die weitere Entwicklung der Wissenschaft verlief so stürmisch, dass ihr Eintopf kaum mehr folgen konnte. Immer öfter sehnte er sich an die Zeit zurück, als man noch nicht so ohne weiteres aus einer Kröte zum Nutzen der Theorie einen Primaten machen konnte. Schliesslich forderten bestimmte Gruppen unter Berufung auf ihn die Bürgerrechte für Kängurus und Pinguine. Eintopf aber distanzierte sich, drückte sein Missfallen aus und wurde so für manche zum senilen Verräter.